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BIOGRAPHIE

 

Hinterm Horizont geht es weiter:

Vom Olympia-Sechsten zum Segelprofi

Tatjana Pokorny

 

In vielen Nationen ist es eine Selbstverständlichkeit, in Deutschland immer noch eine Ausnahmeerscheinung: Das Berufsbild Segelprofi. Robert Stanjek, Olympia-Sechster von Weymouth und Weltmeister im Starboot, zählt zu den wenigen Allround-Talenten des deutschen Segelleistungssports, der in der Profiwelt bestehen will. Der ruhige Berliner mit bedachter Wortwahl, der Denker, olympische Lenker, top trainierte Athlet, der lange Jahre Aktivensprecher der Nationalmannschaft war, hat sich in der nacholympischen Zeit mit bemerkenswerten Erfolgen wie einem umjubelten Klassensieg im Fastnet Race 2013 im Big-Boat- und Hochseesegelsport einen neuen Einsatzradius geschaffen und auch schon einen Namen gemacht.

   Dass Robert Stanjek als Leistungssportler erfolgreich ist, überrascht nach einem Blick auf seine Familiengeschichten wenig. Stanjeks Großvater Heinz zählt nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Ruder-Assen der DDR, gewann vier Ostzonen-Meisterschaften im Einer, zwei Titel im Doppelzweier und war auch mit dem Achter von Blau-Weiß Berlin-Grünau erfolgreich. Die Familie lebte immer sportlich und liebt Leistung. Onkel Christian Stanjek segelte mit dem Vater von 470er-Olympiateilnehmer Lucas Zellmer zum Spartakiadesieg. Clubheimat der Familie Stanjek war und ist der Segelverein Rahnsdorf, wo der Vater OK und Finn Dinghi segelt.

   Robert Stanjek stieg erst nach einem Umweg über den Judosport ins Boot. „Ich bin nach anthropometrischer Vermessung zum Judo gegangen worden, doch da hatte ich wenig Freude“, erinnert er sich. Auch daran, dass er bei seinen ersten Segeleinsätzen als Schuljunge „ganz schön Respekt vor den Elementen und den komplexen Anforderungen“ hatte. Zunächst auf dem kleinen Bodden, später dann auf dem Großen Müggelsee, tastete sich Stanjek an den Segelsport heran. Im Alter von elf Jahren wechselte er auf die andere Seeseite zum Bezirkszentrum der Segler am Müggelsee. Er trainierte dreimal die Woche, nahm fast jedes Wochenende an Regatten teil, profitierte früh vom Können namhafter Trainer wie Achim Schwedt. „Diese Ausbildung, eingebettet in die Infrastruktur des DDR-Sports, betrachte ich bis heute als großes Privileg“, sagt Stanjek, der seit 1996 Mitglied im Yachtclub Berlin-Grünau ist.

   Das Olympiajahr 1996 markiert Stanjeks Durchstart im Laser. Stefan Warkalla aus Möhnesee ist der erste deutsche Olympiateilnehmer in der olympisch neuen Einhandklasse, segelt in Savannah als Fünfter nur knapp an der Medaille vorbei. Warkalla und Klaus Lahme, heute Regelberater des Deutschen Segler-Verbandes, repräsentieren die erste erfolgreiche deutsche Laser-Generation. Stanjek verfolgt Warkallas Olympiarennen im Fernsehen mit offenem Mund. „Da wusste ich, was ich wollte!“ Er zerrt den bereit liegenden, aber bislang verschmähten Laser aus der Familiengarage. Der Widerwillen gegen das Alleinsegeln ist wie weggeblasen. Als Junior ist Stanjek in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre im Laser erfolgreich, wird kurz nach seinem Einstieg in die Klasse Dritter bei der Deutschen Meisterschaft und erwärmt sich immer mehr für den Solo-Einsatz. Sein Trainer ist Olaf Koppin, zu dessen Schülern später auch 49er-Olympiastarter Hannes Baumann zählt. Stanjek besucht inzwischen die renommierte Flatow-Oberschule, eine Eliteschule des Sports. Der Unterricht beginnt früh, endet verlässlich um 13 Uhr. Es bleibt genug Zeit für Training und Regatten. Stanjeks Schlüsselfigur ist der junge Philipp Buchert, der sich für die Olympischen Spiele 2000 in Sydney qualifizieren will. „Philipp war im Laser international unterwegs, haute zu der Zeit auch mal Größen wie Ben Ainslie weg, tat alles, um sich für die Spiele zu qualifizieren.“

   Stanjeks Aufstieg gelingt Schritt für Schritt: 1998 wird er in den DSV-D/C-Kader aufgenommen, 2000 rückt er in den C-Bundeskader auf. Im gleichen Jahr macht er Abitur. Er zieht danach sofort nach Kiel um, übernimmt dort eine Zivildienststelle in einer Schwerstbehinderteneinrichtung und wird vom Heinz Nixdorf Verein (HNV) gefördert. Auch er liebäugelt mit einer Qualifikation für die Olympischen Spiele 2000, ist aber noch zu unerfahren. „Im zweiten Anlauf für die Spiele 2004 fehlte uns dann ein Top-Athlet, der alle mitzieht“, sagt Stanjek, „wir waren fleißig, hatten aber zu viele Baustellen. Du musst mit Besseren segeln, um besser zu werden. Es gab aber keine Besseren.“ Diese Erkenntnis hat sich ihm eingebrannt und angetrieben.

   Im Herbst 2004 bewegt der HNV Robert Stanjek zum Umstieg in das Starboot. Der wehrt sich zunächst, will im Laser zu den Olympischen Spielen, gibt dann aber nach. Es ist der Beginn seines von vielen Höhepunkten gezeichneten Aufstiegs bis zur Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012 an der Seite von Frithjof Kleen. Zuvor wurde der Berliner gemeinsam mit Kleen zu Deutschlands „Seglern des Jahres 2011“ gewählt. Die Auszeichnung gilt vor allem dem 2011 errungenen Vize-Weltmeistertitel. Im Sommer 2012 erkämpften sich Stanjek und Kleen als jüngste Mannschaft in dem mit Medaillengewinnern gespickten Feld der olympischen Starboote Platz sechs. Dieser Einsatz hätte die perfekte Basis für eine erfolgreiche Medaillenjagd 2016 sein können. Doch der Weltseglerverband streicht das Starboot aus dem olympischen Programm. Wie Stanjek verlieren viele Top-Segler ihre Chance auf die geplante Fortführung der olympischen Karriere.

Stanjek nutzt den Negativentscheid jedoch zur positiven Horizonterweiterung, wagt den Sprung in die professionelle Inshore- und Offshore-Szene. Das erste Sprungbrett bietet ihm der Hamburger Segelprofi und Weltumsegler Tim Kröger, der Stanjek 2012 als Taktiker für die Premiere des Nord Stream Race von St. Petersburg nach Greifswald an Bord seiner Swan 60 holt. Die Profi-Mannschaft mit Verstärkung durch einige Nachwuchstalente erkämpft Platz zwei, muss sich nur der russischen Weltmeisterin „Bronenosec“ geschlagen geben.

   Neben eigenen Segelwettkämpfen bringt Stanjek seine Erfahrungen jetzt auch auf verschiedenen Ebenen der Nationalmannschaft ein. Dazu zählen Technologie, Entwicklung, Ausbildung und auch die Arbeit auf Bundestrainerebene. „Das Lehren, Coachen und Weitergeben der eigenen Erfahrung ist eine interessante und wirklich schöne Aufgabe. Doch selber aufs Wasser zu gehen, zu wettkämpfen und eigene Segelprojekte zu stemmen, ist immer noch der größere Reiz:”

   Also widmet Stanjek dem aktiven Sport auch 2013 mehr Zeit und der Erfolg gibt ihm Recht: Seinen ersten Sieg als Offshore-Skipper erringt Stanjek im berühmt-berüchtigten Fastnet Race 2013, als er eine Swan 60 als schnellstes mehrerer Schwesterschiffe über die Ziellinie steuert und sogar „Bronenosec“ hinter sich lassen kann. Es ist ein kleiner Triumph und Zeichen dafür, wie viel Potenzial in diesem Skipper steckt, der nicht etwa mit reiner Profi-Truppe, sondern einer Amateur-Crew und lediglich Profi-Verstärkung in den legendären Klassiker gestartet war.

   „Das Segeln auf großen Booten ist eine völlig andere Herausforderung. Du musst viel größere Teams zusammenstellen und motivieren, auf längere Strecken gehen und extremere Situationen bestehen. Aber auf kleinen Booten trainierst du das schnelle Denken und durchsegelst mehr Situationen und deren Wiederholungen. Wenn man ‘on top of the game’ bleiben will, ist das Kleinbootsegeln unabdinglich.“

   Anfang 2014 bestreitet Robert eine lange Selektion und Vorbereitung mit dem holländischen Volvo Ocean Race Team Brunel.  Trotz guter Leistung, sollte der Traum einer Weltumseglung noch nicht wahr werden. Skipper Bouwe Bekking nominiert den Franzosen Laurent Pagès in die finale Mannschaft. Die Ausbildungsmonate waren jedoch wertvoll und so öffnet sich im Sommer die Tür zu einer neuen Herausforderung.

   Jochen Schühmann nominiert den frisch gebackenen Starboot Weltmeister als neuen Steuermann für die 100 Fuß Maxi Yacht Esimit Europa. Robert bestätigt das geschenkte Vertrauen und ersegelt mit dem 18 köpfigen Allstar Team die Line Honours Siege im 1000 Island und Rolex Middel Sea Race.

 

 

 

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© Robert Beyer

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